Was, warum und wozu?
 Idee und Hintergrund dieser Website

Der Einzug des Taschenrechners

Ich gehöre zur ersten Generation, die mit dem Taschenrechner aufgewachsen ist. Die ersten bezahlbaren wissenschaftlichen Taschenrechner kamen Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts auf den Markt, und der abgebildete Texas Instruments TI-30 war sozusagen der Volkswagen unter den Taschenrechnern – für einige Jahre der Inbegriff des Schultaschenrechners. Es war die Zeit, als ich mich in der MIttelstufe des Gymnasiums befand und so gehörte ich zu den ersten Jahrgängen, die die Bedienung des Rechenschiebers nicht mehr lernen mussten (jedoch die Benutzung einer gedruckten Logarithmentafel – obwohl der TI-30 auch Logarithmen berechnen konnte).

Die wirkliche Begeisterung für Taschenrechner trat bei mir Anfang der 80er Jahre ein, als ich mir zum stolzen Preis von 299 DM einen Casio FX-602 P zusammengespart hatte – einen programmierbaren Taschenrechner mit LCD-Punktmatrix-Display, der im übrigen bis heute tadellos funktioniert.

Eine neue Perspektive auf Taschenrechner und die zentrale Fragestellung, die letztlich auch dieser Website zugrunde liegt, ergab sich dann gegen Ende meines Mathematikstudiums beim Übergang ins Referendariat: Wie lässt sich ein Taschenrechner wirklich gewinnbringend im Mathematikunterricht einsetzen?

Taschenrechner, die mehr können

So lange die in der Schule eingesetzten Taschenrechner nicht mehr konnten bzw. nicht mehr können mussten, als eine „kalkulatorische Entlastung“ zu verschaffen, hatte diese Frage nur eine untergeordnete Bedeutung: Man war einfach froh, dass man bei numerischen Berechnungen entlastet wurde und trigonometrische und logarithmische Werte nicht mehr in Tabellen nachschlagen musste. Die derartige Nutzung des Taschenrechners war eine echte Entlastung für die Schüler und den ansonsten unveränderten Mathematikunterricht, weil Rechenzeit eingespart und Rechenfehler vermieden werden konnten.

Mit zunehmendem (sinnvoll nutzbarem) Funktionsumfang änderte sich das ab etwa 2005, als die ersten (bezahlbaren!) wissenschaftlichen Taschenrechner verfügbar waren, die z.B. lineare Gleichungssysteme, Polynomgleichungen sowie bestimmte Integrale und beliebige Gleichungen durch numerische Approximation berechnen konnten – wie etwa der abgebildete Casio FX-991 ES, der im Jahr 2005 zum Preis von rund 20 Euro auf den Markt kam.
Spätestens jetzt musste z.B. entschieden werden (von den Fachkonferenzen oder auf höherer Ebene), ob und in welcher Weise man diese Möglichkeiten im Mathematikunterricht nutzen wollte. Anders als bei der Eingabe einfacher Berechnungen, die intuitiv gelingt und praktisch keine Erklärungen oder Einarbeitungszeit benötigen (abgesehen vielleicht von der Eingabe von Brüchen und deren Umwandlung in gemischte Schreibweise oder Dezimalbrüche), war die Nutzung dieser erweiterten Funktionalität alles andere als intuitiv, und es ergab sich eine neue, ebenfalls zentrale Fragestellung: In welchem Verhältnis steht der erforderliche Aufwand für die Einführung in die Taschenrechnerbedienung zum Nutzen, der sich aus der Verwendung dieser Funktionalität für den Mathematikunterricht ergibt?

Die Entdeckung des grafikfähigen Taschenrechners

Diese Problematik verschärfte sich, als die ersten Grafikrechner (GTR) in der Schule Einzug hielten. Nicht, dass es solche GTR nicht schon gegeben hätte – der erste (sogar bezahlbare) grafikfähige Taschenrechner Casio FX-7000G erschien bereits 1985 – aber es gab erst seit etwa 2010 in mehreren Bundesländern die Tendenz, den Einsatz des GTR zumindest für den Mathematikunterricht der gymnasialen Oberstufe verbindlich vorzuschreiben. In NRW wurde dies 2012 für die gymnasiale Oberstufe beginnend mit dem Schuljahr 2014/15 beschlossen – Einzelheiten zur Einführung des Grafikrechners in NRW findet man an anderer Stelle dieser Website.

Im Vorfeld musste jede Schule für sich entscheiden, welcher GTR als Referenzmodell an der eigenen Schule eingeführt werden sollte. In diesem Prozess trafen ein großes Informationsdefizit seitens der (Mathematik-)Lehrerschaft auf ein mindestens ebenso großes finanzielles Interesse der Anbieter von Grafikrechnern. Insbesondere Texas Instruments und Casio kämpften und warben mit viel Aufwand und Schulungsangeboten (und harten Bandagen!) für ihre Top-Modelle – Casio FX-CG 20 bzw. TI-nSpire CX. Von Sharp und Hewlett-Packard war nur wenig zu hören und zu sehen – deren (CAS-freie) GTR-Modelle waren (und sind) allerdings auch kaum konkurrenzfähig. Einzelheiten kann man meinem GTR-Vergleichstest entnehmen.

Mein Vermutung war bzw. ist, dass in vielen Fällen eine ausreichend intensive Beschäftigung mit unterschiedlichen Modellen verschiedener Hersteller innerhalb der mathematischen Fachkonferenzen nicht stattfinden würde und man sich stattdessen auf die Werbeaussagen (und attraktiven Schulungs- und/oder Finanzierungsangebote) der Hersteller verlässt. Vielleicht steckte auch eine gewisse Naivität dahinter:
Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen mit wissenschaftlichen Taschenrechnern, die „einfach eingesetzt“ wurden, konnte man sich vielleicht nicht vorstellen, dass es hinsichtlich der Bedienkonzepte zwischen einzelnen Modellen erhebliche Unterschiede gibt und dies auch nennenswerte Auswirkungen auf die Nutzung im Unterricht haben würde.

Ich habe mir damals – 2013 – sämtliche in Frage kommenden GTR-Modelle angeschafft und diese anhand von (aus meiner Sicht) praxisnahen Beispielen miteinander verglichen. Während dieses Prozesses entstand die Idee, die Ergebnisse meiner Untersuchungen auch anderen verfügbar zu machen – zur Unterstützung bei der Entscheidung der mathematischen Fachkonferenzen für das schulische GTR-Referenzmodell. Entstanden ist daraus diese Website.

Bei der Umsetzung hat es sich dann ergeben, dass über das Kernthema „Grafikrechner“ hinaus weitere Themenbereiche aus dem Taschenrechner-Spektrum hinzu gekommen sind, insbesondere zur Geschichte und Entwicklung von schulrelevanten Taschenrechnern von den Anfängen bis heute.

Der Einsatz des grafikfähigen Taschenrechners im Mathematikunterricht

Im Rahmen einer größeren Überarbeitung der Website im Sommer 2020 habe ich dem Umstand Rechnung getragen, dass die Frage „Welches GTR-Modell soll als Referenzmodell eingeführt werden?“ mittlerweile nur noch von geringer Bedeutung ist, weil nach Einführung eines bestimmten Modells (mit entsprechendem Bedienkonzept) ein Modellwechsel (mit anderem Bedienkonzept) praktisch nicht mehr stattfindet. Warum sollte man (als Lehrkraft) den Aufwand für die Einarbeitung in ein neues Modell auf sich nehmen, wenn es mit dem bisherigen Modell (zumindest leidlich) klappt? Mit den Unzulänglichkeiten des jeweiligen Modells, mit denen man in der Phase der Einführung noch gekämpft hat, hat man sich inzwischen arrangiert – irgendwie geht es ja.

Wenn also ein GTR-Referenzmodell eingeführt wurde (und entsprechend ein Modellwechsel unwahrscheinlich ist), dann ändert sich auch die Fragestellung. Sie lautet nun: Wie lässt sich das eingeführte GTR-Modell effizient und didaktisch wohlüberlegt im Mathematikunterricht einsetzen?

Ausgehend von den Erfahrungen, die ich selbst seit der Einführung des GTR 2014 in mehreren Grund- und Leistungskursen der gymnasialen Oberstufe gemacht habe, ist als Antwort auf diese Frage eine Sammlung von modellbezogenen Anleitungen entstanden, die sich an den typischen Problemstellungen orientieren, die im Unterricht und bei den Aufgaben des Zentralabiturs zu lösen sind. Diese, im Unterricht wiederholt erprobten und mehrfach überarbeiteten „GTR-Rezepte“ stelle ich als Teil dieser Website zur Verfügung.

Neu hinzugekommen ist im Sommer 2020 auch ein eigenes Kapitel zur GTR-Programmierung mit Python. Auslöser war, dass 2019/20 gleich drei GTR-Modelle von Casio und Texas-Instruments eine Implementierung der Programmiersprache Python erhielten. Da ich Python mehr als 10 Jahre im Informatikunterricht als Lernsprache eingesetzt habe und Python für eine großartige Programmiersprache halte, habe ich mir das genauer angesehen und bin dabei insbesondere der Frage nachgegangen, ob und ggf. wie sich diese neue Funktionalität für den Mathematik- oder Informatikunterricht sinnvoll nutzen lässt.